derstandard

 

Isabella Pohl, 17. September 2010

Eine Hexenverbrennung in Wien

 

"Nunc et in hora mortis nostrae": Ein stimmungsvoller Abend im Wiener Kabinetttheater zeigt Tableaux vivants.

Wien - In einem mit Kletterpflanzen bewachsenen Innenhof in der Porzellangasse befindet sich Julia Reicherts kleines, zauberhaftes Kabinetttheater. Vor mehr als 20 Jahren gegründet, wird hier mit viel Liebe zum Detail die Kunst der Tableaux vivants gepflegt. Reichert, die Prinzipalin, bearbeitet musikalische und literarische Kleinode und Fundstücke, arrangiert, textet und inszeniert. Ihre Darsteller sind in Handarbeit hergestellte Puppen und Figuren. Und Reichert fungiert als Gastgeberin: Sie empfängt die Theaterbesucher in der Porzellangasse in ihrem Wohnzimmer, schenkt Wein und Saft aus - der Theaterraum, in dem das Publikum dicht gedrängt Platz nimmt, ist Teil von Reicherts Wohnung. Die Theaterabende finden in familiärer Stimmung statt.

Wie ein gemütlicher Hausmusikabend erinnert auch Reicherts neues Stück "Nunc et in hora mortis nostrae" an längst vergangene Theaterpraktiken. Dieses "Theodrama" erzählt die Geschichte von Elsa Plainacher, der "Hexe von Wien". Plainacher wurde 1583 auf der Gänseweid im heutigen 3. Bezirk verbrannt: ein großes Spektakel, das zum Amüsement des Volkes ebenso diente wie zur Befriedigung kirchlicher Machtgelüste. Denn Pleinacher war Protestantin, außerdem kräuterkundig und erreichte mit 70 Jahren ein verdächtig hohes Alter. Im Kabinetttheater wird ihre Geschichte nicht ohne Ironie erzählt.

Die bewegten Bilder, die hinter sich immer wieder öffnenden und schließenden schwarzen Fenstern auftauchen und von Teufeln und Figürchen bevölkert werden, sind eigene Kunstwerke für sich. Eugène Michelangeli (auf dem beeindruckenden Claviorganum) und Lina Tur-Bonet (Barockvioline) spielen dazu Werke aus dem Rosenkranz-Sonatenzyklus von Heinrich Ignaz Franz von Biber, die Sängerin Anna-Clare Hauf brilliert, belustigt und berührt mit Marienliedern. Ein beglückender Abend!